06.10.2010
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Stellungnahme des Deutschen Kinderschutzbund Bundesverbandes e.V.
Der Deutsche Kinderschutzbund Bundesverband bezieht im folgenden Stellung zu dem
Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Ermittlung von
Regelbedarfen und zur Änderung des zweiten und des zwölften Sozialgesetzbuches vom
20.09.2010 mit den entsprechenden Ergänzungen und Konkretisierungen vom
26.09.2010. Als Interessensvertretungs- und Lobbyverband für die Rechte von Kindern in
Deutschland werden wir uns hierbei auf diejenigen Änderungsvorhaben konzentrieren,
die sich für Kinder und Jugendliche ergeben und die deutliche Auswirkungen auf deren
Teilhabechancen und Lebensperspektiven haben.
Mit dem Referentenentwurf reagiert das Ministerium auf das
Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 09. Februar 2010. Insgesamt betrachtet kann der
Referentenentwurf aus Sicht des Deutschen Kinderschutzbundes dem Anspruch des
Urteils nicht genügen, wie die folgenden Ausführungen deutlich machen.
1. Ermittlung der Regelbedarfe für Erwachsene
Das Ministerium ermittelt den Regelbedarf für Erwachsene über das durch die
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe abgebildete Ausgabeverhalten der nach
dem Einkommen geschichteten, unteren 15% der Ein-Personen-Haushalte. Dies
stellt eine Abweichung zu dem vormaligen Verfahren dar, bei dem der Regelsatz
anhand der nach dem Einkommen geschichteten, unteren 20% der Ein-Personen-
Haushalte ermittelt worden ist. Folge ist die sehr geringe Anhebung des
Regelsatzes um fünf Euro zum 1.1.2011 aufgrund des geringeren
durchschnittlichen Einkommens der Referenzhaushalte. Wäre die Referenzgruppe
unverändert geblieben, so wäre der Regelsatz höher ausgefallen. Hiervon sind
natürlich auch Kinder betroffen, die in Bedarfsgemeinschaften leben, deren
Regelbedarf über eine veränderte statistische Grundlage „nach unten gerechnet
wurde“.

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Eine Begründung für die Änderung der Referenzgruppe bleibt das Ministerium
schuldig und verletzt damit das vom Bundesverfassungsgericht (BverfG)
geforderte transparente Vorgehen bei der Ermittlung der Regelbedarfe.
Zu kritisieren ist auch, dass bei der Auswahl der Referenzgruppe nur die
Haushalte herausgenommen wurden, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich
über Leistungen nach dem SGB II / SGB XII gestalten. Nicht heraus gerechnet
wurden z.B. Aufstocker, Kinderzuschlag- und Wohngeldbezieher. Auch nicht aus
der Stichprobe entfernt worden sind Haushalte, die eigene Leistungsansprüche
an das SGB II / SGB XII nicht geltend machen („verdeckte Armut“). Auch hierfür
bleibt die Begründung des Ministeriums ungenügend und undifferenziert. Die
Aussage, dass „keine empirischen Belege für eine nennenswerte Größenordnung
dieses viel diskutierten Phänomens“ existieren, entspricht nicht gängigen
wissenschaftlichen Auffassungen.1
Das Ministerium wählt eine Referenzgruppe, bei der offen bleibt, ob die in ihr
erfassten Haushalte nicht selbst deutlich unterversorgt sind. Nach der Auswahl
der Referenzhaushalte fehlt die Prüfung, ob deren Ausgaben tatsächlich ein
zutreffendes Maß sind, um eine Mindestversorgung sicher zu stellen. Auch wenn
eine solche Prüfung durch das BverfG nicht explizit gefordert worden ist, wäre sie
notwendig gewesen, um zu validieren, dass die ermittelten Regelsätze zur
Gewährleistung eines physischen und soziokulturellen Existenzminimums
ausreichen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) hat in einer Expertise2
gezeigt, dass eine Überprüfung durch den Vergleich zwischen den Ausgaben der
Referenzgruppe mit der nächst höher gelegenen Einkommensgruppe
vorgenommen werden kann. Wenn die Ausgaben der nächst höher gelegenen
Einkommensgruppe deutlich höher sind als diejenigen der Referenzgruppe, so
spricht dies für eine Unterversorgung der Referenzhaushalte in diesem Bereich.
Wie die Expertise weiter zeigt, war dies bei einigen Einzelpositionen des
Regelsatzes der Fall. Das ist auch bei dem durch das Ministerium gewählten
1 vgl. z.B. Irene Becker: Armut in Deutschland: Bevölkerungsgruppen unterhalb der Alg II-Grenze.
Arbeitspapier Nr. 3 des Projekts „Soziale Gerechtigkeit“, Frankfurt a. M, 2006.
2 vgl. DPWV: Expertise. Was Kinder brauchen. Für eine offene Diskussion über das Existenzminimum für
Kinder nach dem Statistikmodell gemäß § 28 SGB XII (Sozialhilfe), 2008.

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Verfahren anzunehmen, vor allem da die Referenzgruppe auf die unteren 15% der
nach dem Einkommen geschichteten Haushalte verändert wurde.
2. Höhe der Regelsätze für Kinder
Im Gegensatz zur Ermittlung der Regelsätze für Erwachsene wurden bei der
Berechnung der Regelsätze für Kinder die Ausgaben der nach dem Einkommen
geschichteten, unteren 20% der Paarhaushalte mit einem Kind betrachtet. Indem
das Ministerium das Ausgabeverhalten von Haushalten mit Kindern betrachtet,
erfüllt es eine vom BverfG vorgegebene Forderung. Auch hier wurden aber
Aufstocker, Kinderzuschlag- und Wohngeldbezieher nicht aus der Stichprobe
entfernt mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Höhe der Regelsätze.
Problematisch und schwierig ist zudem, die Ausgaben der Haushalte auf die
einzelnen Haushaltsmitglieder umzulegen. Dieser Auffassung ist auch das
Ministerium, das daraus folgend von der Notwendigkeit „normativer
Festlegungen“ für die Verteilung der Haushaltsausgaben auf die einzelnen
Haushaltsmitglieder spricht. Die Wortwahl „normative Entscheidung“ ist
allerdings missverständlich, soll doch auf Basis existierender Studienergebnisse
zur Verteilung von Haushaltsbudgets die Festlegung weniger „normativ wertend“
denn „empirisch fundiert“ stattfinden. Hinsichtlich der empirischen Fundierung
bleibt das Ministerium allerdings wenig transparent, so dass die Festlegung
tatsächlich als normativ intendiert beschrieben werden kann. So wird z.B. die
Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu den
„Kosten eines Kindes“ hinzugezogen, ohne deren zentralen Ergebnisse an
geeigneter Stelle zu skizzieren. Die ebenfalls bei der Erstellung von
Verteilungsschlüsseln für die Haushaltsausgaben beteiligte Arbeitsgruppe bleibt
hinsichtlich der Zusammensetzung ebenso unklar wie die Begründungen für
bestimmte gewählte Modelle, anhand derer die Verteilung des Haushaltsbudgets
vorgenommen wird. Im Sinne eines transparenten Vorgehens hätte deutlich
gemacht werden müssen, warum bestimmte Verteilungsschlüssel bei den
einzelnen Positionen als alternativlos erachtet worden sind. Dies bleibt
weitgehend aus.

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Hinsichtlich der Höhe des Regelsatzes wird die Bedarfsgerechtigkeit weitgehend
verfehlt. So ergibt sich für die Gruppe der Kinder bis 6 Jahre ein Anteil an
Nahrungsmitteln von 59,72 Euro. Dies entspricht in etwa zwei Euro pro Tag, die
natürlich nicht ausreichen, um eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu
gewährleisten. Gleiches gilt für die circa 3,20 Euro am Tag, die für die Ernährung
der Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres gewährleistet werden. So hat
z.B. das Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund gezeigt, dass für eine
ausgewogene Verpflegung je nach Alter und Entwicklungsstand bis zu 6 Euro am
Tag nötig sind.3 Die Bedarfsgerechtigkeit weiterer Einzelpositionen ist ebenso in
Frage zu stellen. So zielt es z.B. an der Lebenswirklichkeit vorbei, mit monatlich
sechs Euro sämtliche Hygiene- und Gesundheitspflegeartikel für ein Kind bis zum
sechsten Lebensjahr bezahlen zu können. Bei einem Vergleich der im
Referentenentwurf beschriebenen Einzelpositionen des Regelsatzes mit den
Berechnungen des DPWV werden einige Unterschiede bei den Einzelpositionen
offensichtlich.
3. Fortschreibung der Regelsätze
Da die Fortschreibung der Regelsätze anhand der Rentenentwicklung nicht
verfassungsgemäß war, wird der Regelsatz zukünftig anhand der Entwicklung der
Preise der im Regelsatz integrierten Güter und der Lohnentwicklung angepasst.
Die Entwicklung der Preise soll zu 70 Prozent in die Fortschreibung des
Regelsatzes einfließen. Dies macht zweifelsohne Sinn und verhindert ein
Absinken der Kaufkraft des Regelsatzes und somit, dass über den Regelsatz die
Gewährleistung des Existenzminimums nicht mehr sicher gestellt ist. Allerdings
hat die Lohnentwicklung, die zukünftig in die Fortschreibung des Regelsatzes zu
30 Prozent einfließt, keinen Bezug zur Gewährleistung des Existenzminimums
über die Deckung des tatsächlichen Bedarfs. Ein direkter Zusammenhang
zwischen den notwendigen Mitteln des Minimums und der durchschnittlichen
Lohnentwicklung ist nicht gegeben.
3 Kerstin Clausen / Mathilde Kersting (Forschungsinstitut für Kinderernährung Deutschland): Wie
teuer ist eine gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche, in: Apotheken Umschau, Ausgabe 09/2007,
S.508-513, 2007.

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Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Entwicklung der Löhne in den letzen
Jahren4 wird hier ein Anpassungsindex entwickelt, der die Fortschreibung des
Regelsatzes dämpft. Die Zunahme der atypischen Beschäftigungsverhältnisse mit
schlecht bezahlter Entlohnung, unfreiwilliger Teilzeitarbeit und Aufstockern im
SGB II bremst die Lohnentwicklung und somit auch die Fortschreibung des
Regelsatzes.
Die Methode zur Fortschreibung der Regelsätze wird öffentlich nicht zuletzt durch
die Einhaltung des Lohnabstandsgebots begründet. Das Lohnabstandsgebot darf
allerdings nicht über das verfassungsrechtliche Grundrecht auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum gestellt werden. Auch zeigt eine Studie des
DPWV, dass das Lohnabstandsgebot in den seltensten Fällen überhaupt
gefährdet ist.5
In den Fällen, wo dies doch der Fall ist, ist neben der Ausweitung des
Niedriglohnbereichs hierfür vor allem der unzureichende
Familienleistungsausgleich verantwortlich. Das in Deutschland gezahlte
Kindergeld liegt nur bei circa der Hälft des gewährleisteten Freibetrags für das
sächliche Existenzminimum. Dies führt dazu, dass mit jedem weiteren Kind das
frei verfügbare Einkommen sinkt und bei kinderreichen Familien selbst bei
überdurchschnittlichen Einkommen häufig ergänzende Hilfe des SGB II notwendig
wird („Aufstocker-Familien“). Dem kann am besten durch die vom Deutschen
Kinderschutzbund und anderen Verbänden vorgeschlagene
Kindergrundsicherung begegnet werden. Diese Kindergrundsicherung würde
auch das Sozialgeld ersetzen. Das Konzept ist der Stellungnahme angefügt
(Anlage 1).
Auch die Voraussetzung zur Ausweitung des Niedriglohnbereichs sind von
politischer Seite erst geschaffen worden. Diese Ausweitung des
Niedriglohnbereichs durch vermehrte Leiharbeit oder geringfügige Beschäftigung
kann längerfristig auch das Lohnabstandsgebot gefährden. Die Höhe der
4 vgl. z.B. Bundesjugendkuratorium: Kinderarmut in Deutschland: Eine drängende Handlungsaufforderung
an die Politik, S.16ff., 2009.
5 vgl. DPWV: Damit sich Arbeit lohnt. Expertise zum Abstand zwischen Erwebseinkommen und Leistungen
nach dem SGB II, 2010.

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Sozialtransfers für die Gefährdung des Lohnabstandsniveaus verantwortlich zu
machen, zielt also an den wirklichen Ursachen der Lohnentwicklung und des
unzureichenden Familienleistungsausgleichs vorbei.
4. Einmalige Leistungen und atypische Bedarfe
Die Gewährleistung einmaliger Leistungen für nicht pauschalierbare Güter, wie
z.B. die sogenannte „weiße Ware“ (Kühlschränke, Waschmaschinen usw.) ist im
Referentenentwurf nicht vorgesehen. Der Deutsche Kinderschutzbund bedauert
das. Mit den monatlichen Pauschalen des Regelsatzes lassen sich solche
Gebrauchsgüter nicht anschaffen. Dies spiegelt sich auch im Referentenentwurf
in den oft freibleibenden Ausgaben der Referenzhaushalte für diese
Gebrauchsgüter wieder. Eine sachgerechtere und realitätsnähere Lösung wäre
daher die Wiederaufnahme besonderer Einmalleistungen für eine begrenzte
Anzahl an Gebrauchsgütern gewesen. Auch im Referentenentwurf heißt es, dass
die Durchschnittswerte bei diesen Gebrauchsgütern keine Deckung des Bedarfs
ermöglichen. Die Andeutung, dass die Summe der Durchschnittswerte über viele
Monate hinweg die erforderlichen Aufwendungen bei einer Neuanschaffung deckt
ist hingegen realitätsfremd, betrachtet man eine monatliche Pauschale von 1,56
zur Anschaffung einer Waschmaschine.
Zu begrüßen ist die in dem Referentenentwurf beinhaltete Gewährleistung der
regelmäßig wiederkehrenden, atypischen Bedarfe aufgrund von Krankheit oder
ähnlichem.
5. Gewährleistung der sozialen und kulturellen Teilhabe von Kindern
Das BverfG hat deutlich gemacht, dass die Bedarfe für Bildung und Teilhabe zum
Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen gehören. Im Referentenentwurf
erfolgt daher eine separate Bestimmung dieser Bedarfe. Demnach sollen die
Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten über
personalisierte Gutscheine gedeckt werden. Hierfür stehen jedem Kind 30 Euro im
Jahr zur Verfügung. Für Mitgliedsbeiträge, Musikunterricht oder die Teilnahme an
Freizeiten werden jedem Kind 10 Euro im Monat bzw. 120 Euro im Jahr als
Sachleistung gewährt. Als finanzielle Leistung werden den Haushalten je

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Schulkind 100 Euro zur Ausstattung mit Schulbedarf zur Verfügung gestellt,
wovon 70 Euro zum 01. August und 30 Euro zum 01. Februar ausgezahlt werden.
Der Deutsche Kinderschutzbund vermisst die empirisch fundierte Begründung der
Höhe dieser Leistungen. Das BverfG hat deutlich darauf hingewiesen, dass die
Leistungen in der Höhe nicht „ins Blaue hinein“ geschätzt werden dürfen. Das
Ministerium bleibt aber nach wie vor eine transparente Herleitung der Höhe der
Leistungen schuldig. Noch immer stehen z.B. als „Schulbasispaket“ 100 Euro zur
Verfügung, ohne dass die tatsächlichen Kosten ermittelt wurden. Der Deutsche
Kinderschutzbund Landesverband Berlin hat im Jahr 2008 für Grundschulen im
Berliner Stadtteil Wedding die von der jeweiligen Schule vorgeschlagene
Erstausstattung bei der Einschulung eines Kindes erworben. Obwohl auf die
vorgeschlagenen Marken verzichtet worden ist und stattdessen billige Produkte
erworben worden sind, wurden in jedem Fall bei der Einschulung eines Kindes
Kosten von 300 Euro überschritten. Hierin war selbstverständlich eine Schultüte
nicht enthalten. Dies beweist exemplarisch, dass die gewährleisteten 100 Euro in
der Höhe unzureichend sind.
Dies gilt auch für die über Gutscheine gewährleisteten 120 Euro zur Teilhabe am
sozialen und kulturellen Leben. Sie sind in der Höhe unbegründet und nach
Auffassung des Deutschen Kinderschutzbund Bundesverbandes unzureichend,
um die soziale und kulturelle Teilhabe tatsächlich zu verwirklichen. Die
Mitgliedsbeiträge in Vereinen, die Anschaffung eines Instruments, die
Ausrüstungsgegenstände, um wirklich Sport treiben zu können sowie die
sonstigen anfallenden Mehrausgaben (Fahrtkosten zum Verein usw.) übersteigen
das Budget bei weitem.
Der Deutsche Kinderschutzbund begrüßt hingegen die Übernahme der
Mehraufwendungen für die Mittagsverpflegung im Rahmen der
Kindertagesbetreuung und des Schulbesuchs, die zumindest den Kindern hilft,
deren Bildungseinrichtung ein solches Angebot vorhält. Auch ist zu befürworten,
dass Schülerinnen und Schüler Anspruch auf Lernförderung und Nachhilfe haben,
sofern diese erforderlich ist. Unklar bleibt aber, wann die Nachhilfe gewährleistet
werden soll. Diese Frage ist umso mehr zu stellen, da dass „Gesamtpaket“ für
Leistungen zur Förderung der Bildung und Teilhabe im Bundeshaushalt des

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nächsten Jahres bei 620 Millionen Euro liegt. Was geschieht, wenn diese Mittel
aufgebraucht sind und weitere Anträge auf Lernförderung vorliegen?
Grundsätzlich kritisch steht der Deutsche Kinderschutzbund der Einführungen
von Gutscheinmodellen gegenüber. Zunächst führen Gutscheinmodelle zu einer
Erhöhung des Verwaltungsaufwands und entsprechenden Mehrkosten. Diese
Mehrbelastungen und bürokratischen Folgekosten hängen stark von der
Inanspruchnahme des Angebots ab, wie das Ministerium selbst eingesteht.
Gutscheinmodellen liegt ferner die Annahme zu Grunde, dass finanzielle
Leistungen nicht beim Kind ankommen, z.B. da die Eltern das Geld
zweckentfremdet verwenden. Diese Annahme und das damit häufig
einhergehende, negative Elternbild sind unbestätigt. Studien legen vielmehr den
Schluss nahe, dass die meisten Eltern, die von Sozialtransfers leben, bei sich
selbst sparen, um ihren Kindern die bestmöglichen Chancen zu eröffnen.6
Finanzielle Leistungen kommen demzufolge mit wenigen Ausnahmen sehr wohl
dem Kind zu Gute und es bleibt vollkommen unklar, warum dies bei
Sachleistungen eher der Fall sein soll.
Durch Gutscheine wird zudem die Elternautonomie eingeschränkt. Viele Eltern
wissen selbst am besten, was für ihre Kinder gut ist und welche Bedürfnisse sie
haben. Indem Gutscheine für bestimmte Güter gewährleistet werden, für andere
aber nicht, bleiben somit bestimmte Bedürfnisse von Kindern außen vor, auf die
Eltern aufgrund der Vorgaben durch das Gutscheinsystem nicht mehr eingehen
können.
Bei jeder Form von Gutscheinen sind auch stigmatisierende Aspekte zu
berücksichtigen. Die Betroffenen müssen sich für bedürftig erklären, wenn sie die
Gutscheine einlösen. Gutscheinsysteme sind nie „niedrigschwellig“. Die
Beantragung von Sachleistungen, wie z.B. der Lernförderung von Kindern, ist aus
Gründen wie Scham, Unkenntnis des bürokratischen Verfahrens oder
mangelnden Sprachkenntnissen voller Hemmschwellen. Sie machen nur bei nicht
pauschalierbaren Leistungen Sinn oder in den seltenen Fällen, in denen Eltern die
6 vgl. z.B. Werner Wüstendörfer: „Dass man immer nein sagen muss.“ Eine Befragung der Eltern von
Grundschulkindern mit Nürnberg-Pass, 2008 oder Margot Münnich und Thomas Krebs: Ausgaben für
Kinder in Deutschland, Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 12/2001, S.1096.

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ihren Kindern zustehenden finanziellen Leistungen tatsächlich zweckentfremdet
verwenden. In solchen Fällen könnte z.B. das Jugendamt die Pauschale verwalten
und die entsprechenden Sachleistungen zur Verfügung stellen.
Der Deutsche Kinderschutzbund kritisiert die Zuständigkeit der Jobcenter bei der
Realisierung der Bildungs- und Teilhabebedarfe. In den Jobcentern sollen
Familienlotsen die Hilfe- und Unterstützungsangebote vor Ort koordinieren und
die Haushalte über die Bildungs-, Entwicklungs- und Teilhabeangebote
informieren und beraten. Des Weiteren wird hier die Gutscheinausgabe bewilligt
und deren Verwendung kontrolliert. Warum diese Aufgabe von einer Behörde
ohne jegliche Bildungskompetenz geleistet werden soll bleibt unklar. Mit den
Jugendämtern existieren Facheinrichtungen mit den entsprechenden
Kompetenzen und Ressourcen. Die Jobcenter bräuchten hingegen deutlich mehr
und entsprechend qualifiziertes Personal, um in Bildungs- sowie
Entwicklungsfragen beratend tätig sein und entscheiden zu können. Andernfalls
wird man der Aufgabe, nachhaltig wirksame Entscheidungen über Bildungs- und
Entwicklungsfragen von Kindern und Jugendlichen zu treffen, in keiner Weise
gerecht. Unklar bleibt auch, anhand welcher objektiven Kriterien die
Gutscheinausgabe durch die Jobcenter erfolgen soll.
Auch den Einbezug der Schulen bei der Gewährleistung von Nachhilfe lehnt der
Deutsche Kinderschutzbund ab. Nach dem Referentenentwurf muss der Bedarf an
Lernförderung von den Schulen beim Jobcenter bestätigt werden. Eine solche
Bestätigung kann ein schlechtes Licht auf die Lehrleistung der Schule werfen, so
dass die Gefahr besteht, dass der Nachhilfebedarf zu selten bestätigt wird.
Zu guter Letzt ist die sinnvolle und diskriminierungsfreie Regelung, dass die
Jobcenter direkt mit öffentlichen Anbietern Leistungen für Kinder vereinbaren und
pauschal bezahlen bis April 2011 befristet. Die direkte Abrechnung der
Sachleistungen durch die öffentlichen Anbieter bei den Jobcentern für
Mittagessen in Kitas und Schulen, die Beiträge für Sportvereine oder
Musikschulen wird ab April 2011 nicht mehr möglich sein. Stattdessen sollen die
Jobcenter Gutscheine an bedürftige Haushalte ausgeben, die diese Gutscheine
bei den entsprechenden Anbietern einlösen, die sodann den Gegenwert des
Gutscheins bei den Jobbörsen einfordern. Dies ist ein deutlicher bürokratischer

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Mehraufwand, der mit entsprechenden Kosten versehen ist. Der Deutsche
Kinderschutzbund fordert die Aufhebung der Befristung und das die Methode der
Leistungsvereinbarung mit den Leistungserbringern der Kinder- und Jugendhilfe,
des Bildungssystems und der Einrichtungen des Sportes, der Freizeit und Kultur
ausgeweitet wird. Dies wird dazu führen, dass Investitionen in die Infrastruktur
vermehrt stattfinden und Bildungsleistungen für Kinder, die von Sozialgeld leben,
in Deutschland ausgeweitet werden.


Zusammenfassung:

  • Der Deutsche Kinderschutzbund kritisiert die Höhe der neu berechneten

Regelsätze für Kinder als unzureichend.

  • Die Fortschreibung des Regelsatzes über einen Index aus Preis- und

Lohnentwicklung ist sachfremd, da die Entwicklung der Löhne nichts mit
der Gewährleistung existenzsichernder Ausgaben zu tun hat.

  • Der Deutsche Kinderschutzbund kritisiert, dass in seltenen Fällen keine

besonderen Einmalleistungen für nicht pauschalierbare Gebrauchsgüter
gewährleistet werden.

  • Die gewährleisteten Sach- und finanziellen Leistungen für die soziale und

kulturelle Teilhabe und Bildung von Kindern sind in ihrem Umfang
unbegründet. Umfassende Gutscheinlösungen lehnt der Deutsche
Kinderschutzbund aufgrund der Hemmschwellen, der stigmatisierenden
Wirkung und des bürokratischen Aufwands ab.

  • Der Deutsche Kinderschutzbund fordert die Aufhebung der Befristung der

direkten Abrechnung durch die Leistungserbringer der Kinder- und
Jugendhilfe sowie Bildung, Sport und Kultur mit den Jobcentern. Die
Methode der Leistungsvereinbarung mit den Leistungserbringern soll
ausgeweitet werden, so dass Investitionen in Infrastrukturangebote vor Ort
gefördert wird.

  • Die Jobcenter sollen als fachfremde Einrichtung nicht für die Entscheidung

der Gewährleistung von Bildungs- und Teilhabegutscheinen und die
Beratung von Familien zuständig sein. Hierfür stehen kompetentere und
mit den entsprechenden Ressourcen eher ausgestattete Jugendämter zur
Verfügung.


Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V. © Andreas Kalbitz
Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB): Für die Zukunft aller Kinder!
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